Kapitel 3: Das Goldene Zeitalter
Es gibt zwei Fassungen des Goldenen Zeitalters, das hier diskutierte Bild hängt in der Pinakothek zu München, das andere in Oslo. Beide sind um 1530 entstanden. Ich behaupte das in München ist das jüngere der beiden Bilder. Das in Oslo ist das Ältere, es hat einen Fehler, den Lucas Cranach der Ältere wohl sah oder zumindest empfand. Der entscheidende Unterschied ist die Position des Felsens, genauer der Quelle des Baches. Ist sie in Oslo Bild in der Bild Mitte, so ist sie in der Münchener Fassung am Rand. Doch dazu später.
Es fällt auf, daß innerhalb der Mauer alles auf einer Ebene dargestellt ist. Ausserhalb der Mauer sind Berge. Innerhalb ist die "Natur" grün, ausserhalb weiss und grau, fahl. Es gibt innerhalb der Mauer Menschen paarweise, Tiere paarweise, Bäume, Obst etc. Es gibt eine Quelle und einen Bachlauf. Bei genauerem Hinsehen fällt auf, das die "Natur" innerhalb der Mauer keine Natur ist. Der zentrale Baum ist gerade, wohlproportiniert mit Früchten. Es gibt Weintrauben an einem menschengemachten Spalier und mindestens einen Baum mehr mit Früchten. Es gibt ein Löwenpaar, aber auch Ihre Nahrungsgrundlage, ein paar Rehe, ein paar Hasen, ein paar Hirsche, etc. und eine blumige Wiese.
D.h. diese Natur ist keine ursprüngliche Natur, sie ist hergestellt, produziert von Menschen.
Vergleicht man nun innerhalb und ausserhalb der Mauer, so ist die Einheit der Menschen gebrochen. Ausserhalb erscheint sie mehr ursprünglich, damit feindlich.
Die Natur ausserhalb ist dem Zweck der Verteidigung subsumiert, innerhalb ist sie kultiviert. D.h. bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse erzeugen ein bestimmtes Verhältnis der Menschen zur Natur und ihrer Wahrnehmung durch die Menschen (Betrachter).
Die Bedingung der Möglichkeit eines Goldenes Zeitalters also ist die Kultur, d.h. die transformierung der Natur. Die Quelle bleibt erhalten, die Natur ist Voraussetzung des Reichtums der Menschen. Als Voraussetzung des Reichtums der Menschen und Ihrer Reproduktion steht sie mit Ihrer Quelle daher nicht mehr im Zentrum des Bildes.
Mit der Kultivierung ist der Mensch, bearbeitet der Mensch die Natur und ist gleichzeitig verpflichtet sie um seiner Selbsterhaltung willen zu erhalten. Er baut die Spaliere des Weins, er ißt das Resultat seiner Arbeit, die Trauben, er nützt die Wasserquelle. Er ist auch die Garantie das Fleischfresser (Löwe) und Vegetarier (Rehe) nebeneinander existieren können und er hat dabei auf die Erhaltung der Arten zu achten. Deshalb sind alle Tiere paarweise dargestellt.
Da jedoch alle Menschen nicht arbeitend gezeigt werden, ist die Arbeit nur Voraussetzung für das Leben im Goldenen Zeitalter. Das Leben selbst besteht aus Körperpflege, Unterhaltung (Diskurs), Tanz und Essen. Alle Frauen tragen Schmuck, sind nahezu weiss dargestellt. Es geht um Schönheit, Genuß und Vergnügen in diesem Goldenen Zeitalter. Geht es bei einer paarweisen Darstellung um die Erhaltung der Art, so sind zunächst mal viele Paare (die Menschen) logisch eine Negation. Bei dem Menschen also geht es um die Erhaltung des Individuums und seine Selbstverwirklichung, Subjektwerdung. (Selbstverwirklichung des Individuums verhält sich logisch negativ zur Erhaltung der Art).